Dìdi (2024) | Film, Trailer, Kritik (2025)

Wie man Mitgefühl, Staunen, peinliches Berührtsein – die ganze Palette des Gefühlschaos eines 13-Jährigen – und immer wieder auch filmische Spannung, das Spiel mit Erwartungen über den Blick auf einen Bildschirm vermitteln kann, das zeigt auf grandiose Weise der Debütfilm „Dìdi“von Sean Wang: Ein Jugendfilm über die erste Liebe und sich verändernde Freundschaften in der Zeit maximaler Verletzlichkeit, über Familienstrukturen und den Zusammenhalt und die Liebe trotz aller Kämpfe zwischen Eltern und Kinder. Aber auch ein Film über das Skaten, das Amateurfilmen und die Anfänge der Sozialen Medien, der mit seinem Setting und seinen Themen eine wichtige Lücke füllt.

Die Geschichte von Dìdi spielt 2008 in Kalifornien und hat den jungen Chris (Izaac Wang) im Fokus, den seine Mutter „Dìdi“ und alle anderen nur Wang-Wang nennen. Christ hat gerade die Grundschule hinter sich gebracht und freut sich auf die Highschool; er verbringt am liebsten Zeit am Computer oder mit seinen besten Freunden, Fahad (Raul Dial) und Soup (Aaron Chang). Das Abendessen am Tisch mit Mutter Chungsing (Joan Chen), Großmutter Nai Nai (Chang Li Hua) und Schwester Vivian (Shirley Chen) findet er eher lästig, schnell kommt es zu lautstarken Kämpfen zwischen den Geschwistern.

Innerhalb der ersten halben Stunde knüpft Regisseur Wang über alltägliche Situationen und natürliche Dialoge das Netz der Beziehungen, die Chris‘ Leben ausmachen und gestalten. Dabei zeigt er ein unheimlich gutes Gespür für seine Figuren, erzählt nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig, sondern genau so viel, dass man früh merkt: Eigentlich will man gar nicht mehr aufhören, das Leben dieser Familie zu verfolgen. Und hofft, dass die 90 Minuten lange dauern mögen.

Während eines seiner Nachmittage vor dem Rechner entdeckt Chris auf der Plattform MySpace ein Mädchen aus seiner Schule: Er checkt ihr Profil, sieht sich die geposteten Fotos an, verliebt sich. Er schreibt sie an, erstellt einen Facebook-Account, um mit ihr zu chatten. Das sind auch die Anfänge des Online-Dating, die Wang hier mit einfängt und großartig in Szene setzt: ein blinkender Cursor, die Delete-Taste in Detailaufnahme, das schnelle Hin und Her des Chat-Verlaufs. Während es in aktuellen Filmproduktionen mittlerweile dazugehört, Handybildschirme hochkant auf die Leinwand zu werfen, wirkt das ausgedehnte Zeigen der Computerscreens und der ersten Social-Media-Plattformen hier wie ein Relikt aus lange vergangenen Zeiten – und ist doch noch gar nicht so lange her.

Wang fängt in Dìdi auch die zaghaften Anfänge der ersten Liebe mit all ihren Höhen und Tiefen ein. Mahaela Park als Madi, aber auch Izaac Wang als Chris sind großartig im Darstellen der Entwicklung dieser zarten Bande, besonders Izaac Wang vermag es, mit nuancierter Mimik viel Gefühl, oder besser, das Durcheinandergeraten von Gefühlen zu vermitteln. Dabei unterstützt ihn das zurückhaltende und doch klangvolle Sounddesign, das kontinuierlich eine leichte Spannung hält.

Auch bildästhetisch vermittelt Wang viel Emotion: Die Bilder sind oft dunkel, die Kamera spielt mit den Schattenverläufen der Innenräume wie auch in den Außenaufnahmen. Das ist nicht das sonnendurchflutete Kalifornien, das man im Kopf hat, wenn man an amerikanische Jugendfilme von Disney und Co. denkt, sondern die Welt eines Außenseiters. Eines Jugendlichen, der sich plötzlich nicht mehr aufgehoben und wohl fühlt in seiner Haut, sich erst neu finden muss.

Denn auch das schildert der Film: Dass die Freundschaften aus der Grundschule nicht unbedingt mit auf die Highschool wechseln, auch wenn alle erneut auf dieselbe Schule gehen. Die Jungs verabreden sich plötzlich mit Mädchen, nicht alle Konstellationen passen dann zusammen, neue Menschen wie Donovan (Chiron Cillia Denk) und seine Skater-Gang tauchen auf, werden vielleicht zu Freunden, vielleicht aber auch nicht. Das alles spielen die jungen Darsteller – bis auf Izaac Wang allesamt Laienschauspieler – überzeugend, weil authentisch, und zeichnen ein glaubwürdiges Bild der Jugendkultur der Nullerjahre.

In sein Debüt hat Wang viel Autobiografisches gepackt: Er ist selbst in den USA aufgewachsen und weiß, wie es sich anfühlt, als Asian American doch immer ein wenig am Rand zu stehen. Davon will er ebenso erzählen wie davon, wie hart das Leben als Jugendlicher ist, in einer Zeit, „in der man die schlimmste Version seiner Selbst ist, die im Rückblick aber die beste Zeit des Lebens ist“, wie der Regisseur bei der Deutschland-Premiere auf dem Filmfest München erklärte. Wie schon bei seiner Weltpremiere auf dem Sundance Filmfestival wurde Dìdi auch in München gefeiert und kommt im August auch in die deutschen Kinos.

Besonders gelungen ist auch die Zeichnung der erwachsenen Figuren: Großmutter Nai Nai, die immer wieder auf ihr Alter verweist und deutlich macht, dass sie in der Welt der Jungen nicht mehr klarkommt. Oder die von Joan Chen großartig gespielte Mutter, die sich in ihrer Rolle immer wieder neu suchen und finden muss, die oft genervt ist, aber immer auch voller Liebe. Anhand ihrer Figur zeigt sich das Leben in seiner vollen Wucht: Wie wir im Laufe unseres jeweiligen Daseins immer wieder in Situationen der Unsicherheiten geworfen werden, uns neu justieren und kontinuierlich hinterfragen können. Das ist nicht immer leicht, aber gut und gehört mit dazu.

Gesehen auf dem Filmfest München.

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Author: Edwin Metz

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